"Wer sich auf Bilder einlässt, betritt einen anderen, vielschichtigen Erlebnisraum."
INTERVIEW mit Marina Herrmann
Mai 05,2015 - by Simone Kraft
Die Architekturform als kultureller Träger, um diese Beobachtung kreist Marina
Herrmanns Schaffen seit vielen Jahren. In ihrem Projekt „StandOrte“ spürt die
Kölner Künstlerin seit etwa 2003 dem nach, was Städte, was Megacities wie
London, Sao Paulo, Frankfurt ausmacht – jenseits der allgegenwärtigen Skylines,
Hochhäuser, Sehenswürdigkeiten. Vielmehr versucht sie die komplexen –
ästhetischen – urbanen Strukturen zu erschließen und zu visualisieren, die
Stadträume prägen – nicht dokumentarisch abbildend, sondern mit künstlerischen
Mitteln. Es geht um Farben, Formen, Flächen, die sie auf Streifzügen durch
Stadträume findet, es geht um globale Gemeinsamkeiten und regionale Eigenheiten.
Auf Reisen in die Megacities der Welt, nach Tokio, Dubai, New York, sammelt sie
fotografisches Material, das zum Ausgang wird für weiteres Arbeiten. Im Atelier
werden die Aufnahmen digital verfremdet, wird malerisch eingegriffen,
verdichtet. Es entstehen multimediale Analysen eines Stadtraums, eines
Bildraums. Fotografie und Malerei werden in einen dialogischen Kontext gesetzt.
Geprägt von einem Hintergrund in der Soziologie, die den sozialen Raum
erforscht, analysiert Herrmann den architektonischen, den gebauten Lebensraum
mit künstlerischen Mitteln.
Im Interview mit deconarch.com beschreibt Marina Herrmann ihre Faszination
architektonischer Formen, erläutert ihren Arbeitsprozess und nimmt uns mit auf
ihre Reisen durch die Megacities der Welt.
INTERVIEW
Eine Ihrer aktuellsten Arbeiten ist die „Coloured City“. Stellen Sie uns
diese kurz vor?
Die Rauminstallation „Coloured City“ ist ein Ergebnis meines langjährigen
Projektes „StandOrte“, in dem ich versuche, Unterschiede regionaler Originalität
in den Megacities einer globalisierten Welt erfassbar und sichtbar zu machen …
… dann sollten wir zunächst die „StandOrte“ näher vorstellen?
Die Architekturform als Träger kultureller Informationen entdeckte ich auf
verschiedenen Reisen.
Die Fotografie war in dieser Zeit schon Bestandteil meiner künstlerischen
Arbeit. Nicht als abbildendes Element, sondern als Hilfsmittel auf der Suche
nach Flächen, Farben und Linien, ohne den Kontext abbilden zu wollen, in dem
sich die Objekte befinden. Das Foto dient mir zur Veranschaulichung einer
bildnerischen Idee, die ich unter bewusster Vernachlässigung von Aspekten der
Gegenständlichkeit und Wiedererkennbarkeit umsetze. Es entstehen Bildaussagen,
die in der dokumentarischen Fotografie nicht denkbar sind und die Abstraktion
des Sichtbaren möglich machen bzw. die Visualisierung des Unsichtbaren mit
einschließen. Bildaussagen werden realisierbar, die die Grenzen der
gegenständlich-abbildende Fotografie überschreiten und es mir erlauben,
Fotografie und Malerei in einen dialogischen Kontext zu stellen.
Während der Sichtung und Auswertung des Bildmaterials meiner Reisen entdeckte
ich, dass diese abstrahierten Architekturformen in unserem kulturellen
Gedächtnis verankerte Ideen, Muster und Vorstellungen von Orten und Städten
transportieren. Am auffälligsten war dies in der Gegenüberstellung meiner
fotografischen Recherchen von New York und Frankfurt. Auf der einen Seite die
klar gegliederte Fassade des Towers der Deutschen Bank und auf der anderen Seite
die farbintensiven Spiegelungen von Andy Warhols „Flowers“ im Foyer eines
Manhattaner Bürogebäudes. Beides bekannte Kodierungen zu „typisch Deutsch“ oder
„das ist NY“.
So stellte ich mir die Frage: Ist es möglich, auch wenn weltweit oft immer
dieselben Architekten die markanten Bauten der Metropolen errichten, mit meiner
„Methode“ urbane Strukturen, Spuren, Konvergenzen und Unterschiede der
Globalität allseits bekannter Megacities wie Tokio, Shanghai, Sao Paulo oder
Johannesburg, jenseits der bekannten Postkartenansichten, frei zu legen? Mit
dieser Fragestellung begann für mich das Projekt „StandOrte“.
„StandOrte“ setzt sich aus verschiedenen Serien zusammen, die jüngste davon
die „Coloured City“.
In den jeweiligen fotografischen Recherchen vor Ort steht nicht die realistische
Erfassung von Plätzen und Gebäuden im Fokus meiner Arbeit, sondern bisher eher
unsichtbare, beiläufige und unterschwellige Elemente, die sich in eigenwilligen
Strukturen, Mustern und Farben äußern können. Licht, Schatten und Reflexionen
sind weitere Faktoren meiner fotografischen Recherchen.
Die bildnerischen Ergebnisse dieses Projektes, so auch die Arbeit „Coloured
City“, entstehen dann in weiteren Arbeitsprozessen in meinem Kölner Atelier.
Hier verfremde ich die fotografischen Vorlagen nochmals und bette sie in ein
malerisches Umfeld. Im besten Fall entsteht ein poetisches Spiel mit den
Gestaltungsoptionen der sichtbaren und unsichtbaren Welt.
Ausgangsmaterial für „Coloured City“ ist die Werkgruppe „Towers“, an der ich
seit 2003 arbeite. In den verspiegelt verfremdeten Fassaden der New York Towers
verstecken sich Andy Warhols „Flowers” oder Robert Indianas LOVE-Hieroglyphen,
Archetypen der New Yorker Kunstszene der 1960er Jahre. In den Frankfurt Towers
korrekt gesetzte Muster, in den Tokio Towers die wabenartige Struktur
japanischer Wohnverhältnisse, in den Shanghai Towers stilisierte chinesische
Schriftzeichen und die Farbigkeit eines China Restaurants. In den Dubai Towers
der Gold und Öl durchtränkte Wüstensand oder in den Sao Paulo Towers der grün
gespiegelte, undurchdringliche Schein des nahen brasilianischen Regenwaldes.
… in „Coloured City“ werden sie Teil einer Rauminstallation …
In der Rauminstallation „Coloured City” hängen die auf transparente Folien
gedruckten „Towers” hinter- und nebeneinander im Raum. Die extrem hochformatigen
Bildpaneele der Towers habe ich hier auf das Format 480 x 100 cm vergrößert.
Zwischen ihnen befinden sich in immer gleichem Abstand meist monochrome und im
großen Duktus bemalte Folienbahnen, welche als farbige Konzentrate Überleitungen
und Verbindungen zwischen den einzelnen Towers herstellen.
Die Städte sind hier in der Gesamt-Durchschau und im Durchgang zu einem globalen
Gebilde verdichtet. Die transparenten Bahnen mit Fotos der international
bekannten Architekturen zerschneiden den Raum und schaffen Nischen, Plätze und
Wege und lassen die unterschiedlichen Dimensionen von Rhythmus und Lautstärke
der jeweiligen Städte erahnen, die sich in diesen Gebäuden spiegeln.
Woher kommt dieses Interesse an Architektur, Gebäudeformen und -strukturen?
Bevor ich zur Kunst kam, habe ich am Geschwister-Scholl-Institut für
Politikwissenschaft und am Institut für Soziologie in München studiert. Das, was
uns umgibt, uns prägt, die Determinanten unseres Alltags ausmacht, der soziale
Raum, der ebenfalls durch den „architektonischen“ Lebensraum gestaltet wird,
stand während dieser Zeit im Fokus meines Interesses. Der Raum, auch im
kulturellen Sinne, bestimmt unseren Standort, unser Denken und Handeln. Die
Soziografie als Untersuchung der Formen menschlichen Zusammenlebens hat lange
Zeit eine tragende Rolle gespielt in der Raum- und Stadtplanung.
Die Analyse des Raumes hat mich dann ebenfalls in meiner zeichnerischen Arbeit
während meines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste München
interessiert. Ohne ihn können wir nichts verorten und Dinge nicht platzieren.
Die Analyse des Bildraumes führte mich auch zur Arbeit mit transparenten
Bildebenen und letztendlich zum begehbaren Bildraum, wie in der Installation „Coloured
City“.
Sie kommen aus den Sozialwissenschaften – warum die Entscheidung für die
Kunst, welche Möglichkeiten bietet sie für Ihre Arbeit?
Kunst kann etwas anderes als das trockene Beschreiben und analysieren der
„Wirklichkeit“. Der Raum, der uns umgibt, besteht aus unzähligen Facetten,
Geräuschen, Farben, Tönen, Strukturen und Mustern. Unsere Umgebung fühlt sich
kalt an oder vermittelt uns ein Gefühl der Wärme und Behaglichkeit. Wir haben
vielleicht Angst, den dunklen Wald zu betreten, aber eine hell erleuchtete
Straße vermittelt uns Sicherheit. Diese Gefühle kann ich nicht mit den Mitteln
der reinen Analyse eines Raumes hervorrufen oder beschreiben. Kunst berührt die
Sinne und verführt den Betrachter einzutauchen in eine Landschaft, eine Stadt
oder aber auch in eine abstrakte Farbkomposition, die mit bildnerischen Mitteln
hervorgerufen wird. Das kann auf vielen Ebenen geschehen. Es gibt Kunst, die
spricht den kühlen Analytiker an oder ruft Ekel und Abscheu hervor und
fasziniert damit. Wir werden eingeladen in poetische, spielerische, grausige,
provozierende und auch erschreckende Welten. Wer sich auf Bilder einlässt,
betritt einen anderen, vielschichtigen Erlebnisraum.
Auch Erfahrungen Ihrer Biografie spielen hier eine Rolle …
Das sind Erfahrungen, die ich schon in meiner Kölner Kindheit und Jugendzeit
gemacht habe. Wer in dieser Stadt heranwächst, kommt nicht ganz an der Kunst
vorbei. Unzählige Museumsbesuche der Sammlung Ludwig während der Schulzeit
konfrontierten mich mit den Werken der Pop Art-Künstler. Deren Blick auf den
Alltag, in Kombination mit der oft verlockenden Farbigkeit, hinterließen
nachhaltige visuelle Spuren in meinem Gedächtnis und viele offene Fragen.
Hinzu kam, dass ich in einem Kölner Arbeiterviertel aufwuchs. Hier spielten
beobachten und „analysieren“ der Umgebung ebenfalls eine große Rolle um den
eigenen Weg zu finden und gehen zu können. In meinem Fall einen Weg, der eher
ungewöhnlich für das Milieu war und erst durch die Sozialpolitik der 80er Jahre
möglich wurde.
Auch der Unterricht und die Diskussion mit dem Bildhauer Ansgar Nierhoff, der
damals als Nachfolger von Bernhard Blume Kunsterzieher am Schillergymnasium in
Köln war, haben meinen Blick auf meine Umwelt geprägt. Nierhoff fuhr mit uns
Schülern zu der großen Retrospektive von Alberto Giacometti ins Duisburger
Lehmbruck Museum. Zu erleben wie diese winzigen Figuren den Raum erfüllten, war
für mich ein einschneidendes Erlebnis. Später wurde das zeichnerische Werk von
Giacometti, seine Auseinandersetzung mit Objekt und Figur im Raum, für meine
bildnerischen Arbeit sehr wichtig.
Wie ist Ihr Arbeitsprozess: Gehen Sie konzeptionell vor oder „finden“ Sie
Ihre Themen – und dann die Motive – spontan?
Vor der Reise an einen auswählten Ort steht für mich immer die
Auseinandersetzung mit der Kultur. Das kann auf vielfältige Weise geschehen. Ich
lese sehr viel und sehr gerne. So machten mich zum Beispiel die Bücher von
Haruki Murakami, die Erzählungen über seine Nachtfahrten im „Subaru”, die
aufgelisteten und im Kopf mitgehörten Musiktitel, sein Gang durch die Welten,
sei es in einen tiefen Brunnen oder hinter eine Aufzugtür im 23. Stockwerk,
unglaublich neugierig auf die Welt in Japan, die Verknüpfung von Tradition und
Zeitgeist.
Eher konzeptionell ausgerichtet sind meine Recherchen nach für mich relevanten
Architekturformen sowie den Ideen und Konzepten der ausführenden Architekten
bzw. Büros. Hier forsche ich hauptsächlich nach zeitgenössischen Bauten und
internationalen Büros. Relevant sind für mich die Außergewöhnlichkeit der Form
im Zusammenspiel mit dem Stadtraum.
Nehmen Sie uns gedanklich mit auf Ihre Reisen!
Bei meinem ersten Reiseziel für „StandOrte“, Tokio, stand am Anfang der
Architekturrecherche allerdings eine spontane Idee: Renzo Piano und sein Gebäude
„Maison Hermès“ erbaut in einer der teuersten Gegenden der Welt, dem vornehmen
Einkaufsviertel Ginza. Gerade erst fertiggestellt (2006) gingen die Fotografien
des beeindruckenden Glassteingebäudes noch durch die Presse, als ich meinen
Antrag auf Projektförderung 2007 bei der Stadt Köln einreichte. Hier war schon
auf den Zeitungsbildern ein Bezug zum Stadtviertel Ginza erkennbar, spiegeln
sich doch in der klar gegliederten Glasfassade die riesigen LED-Leinwände der
umliegenden Flagship Stores. In der Nacht verwandelt sich das Gebäude in ein
leuchtendes Objekt und wird zu einer Metapher der japanischen Laterne.
Ich konnte hier auch einen unmittelbareren Vergleich zweier Bauten von Renzo
Piano herstellen. Wurde doch genau ein Jahr vorher, im Herbst 2005 das ebenfalls
von ihm entworfene „Weltstadthaus“ für die Modekette Peek & Cloppenburg in Köln
eingeweiht. Auch dieses Gebäude beeindruckt durch seine transparente Fassade,
eine gläserne Haut, die sich wie ein Schirm über das walfischartige Gebäude
spannt.
Die reflektierende Fassade und die geschwungene, einen Bogen beschreibende Form,
wird hier zum Gegengewicht und gleichzeitigen Spiegel der bunt gewürfelten
Nachkriegsarchitektur auf der Kölner Schildergasse. Gespiegelt wird aber auch
die Silhouette der spätgotischen Antoniter Kirche, die unmittelbar neben dem
Gebäude steht. In der gläsernen Außenhaut wachsen 2000 Jahre Kölner
Stadtgeschichte wieder zusammen.
Ein weiterer Schritt meiner Recherchen bestand natürlich auch in der Durchsicht
entsprechender Literatur und Bildbände über zeitgenössische Architektur. Auf
diese Weise fand ich die schlichte Fassade der „Tokyo Church of Christ“, die vom
Büro Makie Associates 1995 gebaut wurde. Sie entspricht vielleicht am besten
unseren Vorstellungen von klar strukturiertem japanischen Design. Die äußere
Glashaut erinnert an einen traditionellen japanischen Holz- und
Papier-Shoji-Bildschirm. Die Fassade besteht aus zwei separaten Schichten: die
äußere Schicht ist Milchglas und die innere Schicht ein Sandwich aus Glas und
Glasfasergewebe. Der Kirchenraum wird zu einem ruhigen meditativen Raum, der in
warmes und stilles Licht getaucht ist. Die milchige Fassade nimmt der Stadt die
Farben und spiegelt nur dezent die Skyline Tokios.
In der Bauendphase befand sich 2008, als ich nach Tokio reiste, der spektakuläre
Entwurf von Paul Noritaka Tange, auf den ich von einem befreundeten Architekten
aufmerksam gemacht wurde. Ein Wolkenkratzer in Form einer Ellipse, gestützt von
hunderten diagonal angeordneten und betongefüllten Stahlträgern, die für
Stabilität im Erdbeben gefährdeten Japan sorgen. Weiße, lichtdurchlässige
Zierstreifen und Punkte, die, wie in zufälliger Anordnung, über die
Fensterfronten laufen, umhüllen das Gebäude wie einen Kokon. Im symbolverliebten
Japan ist die Form auch eine Anspielung auf die Funktion des Gebäudes. Drei
Fachschulen sind hier untergebracht: eine für Mode, eine für Medizin und eine
dritte für Technologie und Design.
So begründet in einem Interview der Architekt Tange die Wahl des Zusatznamens
Cocoon Tower für das Gebäude auch mit einer symbolischen Schutzfunktion für die
jungen Studenten. (Mode Gakuen Cocoon Tower, Tokyo von Parnass Film, 2012).
Die Auswahl solcher für mich wesentlichen Bauwerke und Orte zeichne ich
anschließend in den Stadtplan als eine Art Raster, dem ich vor Ort folge.
Vor Ort geht die „Reise“ dann weiter …
In gewisser Weise „erwandere“ ich mir dann meine Motive, um ziellos und doch
geleitet durch die Stadt zu wandeln, eine Art Retrieval, mit dem Anliegen,
Strukturen aufzuspüren und der Tönung der Stadt näher zu kommen. Das Gehen oder
besser Flanieren, das Auffangen von Stimmungen und Strömungen in einer Stadt
bestimmen ebenfalls meine „Route“. Essen, Kleidung, Menschenströme,
Straßenmusik, Neon-Leuchten, Pflanzen und Parkanlagen, Tempel, aber auch so
kleine Dinge wie Origami-Papiere versuche ich zu erfassen um sie später in die
bildnerische Aufarbeitung meiner Recherchen einzubringen. Die Neugierde, auch
die Suche nach Farben und Formen, führt mich dann von Straße zu Straße, von
einem Platz zum anderen.
So habe ich in Shanghai, vom Fernsehturm aus, ein noch im Bau befindliches
Gebäude entdeckt, dessen Form vollkommen ungewöhnlich war, wie eine riesige
Schildkröte auf Stelzen.
Aus dieser Höhe war es recht einfach den Standort zu definieren. In die Nähe des
Gebäudes zu gelangen hat mich dann allerdings einen ganzen Tag gekostet, weil
immer wieder gigantische Baustellen den Zugang versperrt haben. Am Abend stand
ich dann endlich vor dem Schild, dass mir zeigte: hier entsteht der „Shanghai
Port International Cruise Terminal“ . Genützt hat mir die ganze Beinarbeit recht
wenig, den einzig wunderbaren Blick auf die außergewöhnliche Form des Gebäudes
hatte man nur aus 350 Metern Höhe. Jedoch habe ich auf dem langen Zickzack-Weg
dorthin eine Vielzahl unglaublicher Eindrücke von Gassen und Gebäuden bekommen,
die ich sonst nicht entdeckt hätte.
An eine Unzahl von Orten bin ich so gelangt und habe einen riesigen Fundus aus
Mustern, Strukturen, Ordnungs- und Farbsystemen in mein Kölner Atelier tragen
können. Hier lasse ich die „Welten” wieder zusammenwachsen, entwickle Bilder, in
denen sich scheinbar Gegenständliches zusammenfindet und sich doch jeder
Interpretation entziehen will. Fotos suchen Freunde, bilden Kollektive, aber
auch Antagonismen aus Farbe, Form und Struktur.
Lassen Sie uns „handwerklich“ werden. Wie gehen Sie danach vor, wenn Sie von
Ihren Reisen mit viel Bildmaterial zurückkehren?
Im Atelier verfremde ich die fotografische Vorlage nochmals am Computer. Die
Fotografien werden von mir inhaltlich nicht verändert, d. h. ich konstruiere
keine neue Wirklichkeiten per Photoshop, sondern greife nur ein, indem ich
farblich gestalte oder einen Ausschnitt suche.
Durch die lasierende Übermalung der fertigen Prints und den sichtbaren Duktus
des transparenten Lacks entwickeln die Fotografien eine Form von materieller
Präsenz und Analogie zur Malerei. Hinzu kommt die blockartige Präsentation und
Montage der Fotografien auf Holzkästen. Die Bilder emanzipieren sich so von der
Wand und greifen sichtbar in den Raum ein.
Ausgehend von den verfremdeten fotografischen Vorlagen suche ich in der Malerei
Farben, ornamentale Formen und Strukturen, die ich in Bezug zu den Prints setze,
aber auch auf meinen Stadtgängen erlebt und gesehen habe. Die im Foto bereits
mehrfach gebrochene Realität der Architektur tritt nun in einen Dialog mit der
malerischen Interpretation oder umgekehrt.
Auch hier arbeite ich mit den gleichen Holzkästen. Fast immer ist mindestens
eine der Boxen in einer einheitlichen Farbe lasiert, unter der unzählige
Schichten durchscheinender Ornamente liegen. Bei anderen lasiere ich die
Holzstruktur mit einer monochromen Farbe oder spiele mit gezeichneten Strukturen
einfacher geometrischer Motive, die ich auf dem Foto finde.
Durch dieses mehrteilige Gestaltungsprinzip entstehen verschiedene Bedeutungs-
und Wirkungsebenen. Ornamentale und/oder abstrakte Farbflächen erscheinen ebenso
real oder künstlich wie die Fotografien. Alle Elemente ordne ich in einem
sichtbaren Verhältnis zueinander, das letztendlich eine geschlossene
Konstruktion bildet, auch wenn sie begehbar ist, wie bei „Coloured City“.
So sind die Arbeiten transparenter Prints und Malerei auf Folie letztendlich
eine Fortsetzung der Werkgruppe auf Holzkästen. Durch die Hängung in gleichen
Abständen bilden die bemalten Folien gemeinsam mit den bedruckten Bahnen eine
geometrische Ordnung, die ebenfalls mit den signifikanten Elementen Farbe,
Rhythmus, Linie arbeitet und sich zu einem, wenn auch scheinbar schwerelosen,
Objekt verdichtet.
In allen meinen Werkgruppen bekommen die einzelnen Bildelemente eine doppelte
Funktion: Sie sind Bausteine eines Systems, aber auch Fenster in eine andere
Welt.
Marina Herrmann, herzlichen Dank, dass Sie uns mit auf die Reise in Ihre
Arbeit genommen haben!
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